„Es nimmt der Augenblick, was Jahre geben.“ [Goethe]

Nun ist der Tag vorbeigezogen.

Der Tag X.

Der Tag, an dem ich ihm „Lebewohl“ sagen mußte.

„Lebewohl“? Wie unpassend, wenn es um den Tod geht.

Den einen Tod, von dem ich wusste, er wird einer der drei schwersten Verabschiedungen meines Lebens. Alles was zuvor passierte ging mehr oder weniger gut an mir vorbei. Ich war noch jung und hatte mehr Energie zu Verdrängen. Doch bei ihm wusste ich, dass das nicht gehen wird. Immerhin war er mein erstes richtiges „Eigenes“.

Natürlich habe ich es versucht so gut wie möglich und am besten für ihn zu machen. Mein Kopf weiß das und der Tierarzt wohl auch. Ich war es ja auch, die die Verantwortung hatte. Die über Leben oder Tod entscheiden musste und es letztendlich auch tat. Ich hatte mich von meinem Bauch und der Forschung zu Hoffnung verleiten lassen, die mir gleichzeitig ein Wochenende Zeit zum Abschied nehmen ermöglichten. Ein Wochenende. Das letzte Wochenende von über 7 langen Jahren.

Über eine Woche spielten sich in meinem Kopf Dauerschleifen ab, von den schönen Tagen mit dem Kleinen. Wie ich ihn das erste Mal in die Hand gedrückt bekommen hatte. An einem Bahnhof. Als ob man einen Dealer treffen würde. Aber es war ja auch ein Deal für mich. Verbotene Ware, da ich erst ausziehen musste, um ihn mir anschaffen zu können. Sie brachte mir meinen Stinker. 8 Wochen alt und in einem Pappkarton im Kofferraum eines Kombis war er. Der Letzte seines Wurfs und ich wollte ihn eigentlich doch gar nicht, weil er männlich und farblich nichts Besonderes war. Doch ein Blick und ein Schnüffeln im Ohr und schon saß er mit mir im Zug nach Hause. Für mich war klar, dass er etwas ganz Außergewöhnliches sein muss. Meine Mutter war zutiefst schockiert, aber auch das war mir egal, denn ich hatte ihn und er mich. Wir waren unzertrennlich. Im Beutel meines Pullis kam er überall mithin. Sein Geschirr akzeptierte er vom 1. Tag an und so konnte der gemeinsamen Freiheit nichts mehr im Wege stehen. Nur meine Idee, ihm eine Freundin zu organisieren, schien mir besser zu gefallen als ihm. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Auch die Zugfahrten zur Oma machte er mit, als wäre es die normalste Sache der Welt – immerhin konnte er bei Oma frei auf dem Balkon urlauben. Beim Spielen verfehlte er nie ein Tisch-/Stuhlbein. Fußgänger hielten ihn für die verschiedensten Tierarten – von Dachs bis Pandababy war alles dabei und wenn er endlich mal ausgepowert oder unterm Pulli verschwunden war, zählten Streicheleinheiten zu seiner Lieblingsbeschäftigung. Von Ratten bis Hunden – er liebte alle Tiere und ich glaube bis heute, dass er sich über seine Herkunft und seine Größe nicht ganz im Klaren war.

Doch sobald ich wieder zurück in der Realität war und in sein Gesicht sah, war mir bewusst, dass er aufgegeben hat. Die Lebensfreude war erloschen. Außer Schlafen und gestreichelt werden gab es nichts mehr für ihn – oder es ging nicht mehr anders.

Der letzte Weg zum Tierarzt war der Längste inkl. der Zeit im Wartezimmer.

Doch dann ging es ganz schnell. Viel zu schnell. Der Tierarzt überlegte, was er noch alles machen und testen könnte und fragte, ob ich überhaupt noch Hoffnung sehen würde und ich antwortete nur, dass er schon aufgegeben hat und ich ihn nicht länger leiden lassen möchte.

Er schlief in meinen Händen ein. Es war das Einzige, was ich ihm noch Gutes tun konnte. Auf dem Rückweg wurde er gleich zu seinem Platz gebracht, wo er den Frieden finden kann. Mit viel Liebe von nahestehenden Personen unter- und gestützt.

Der Tierarzt hatte noch ein letztes Mal in sein Maul gesehen, als alles entspannt war und dabei die Diagnose gefestigt, dass er verkrebst war. Bis ans hinterste Ende der Zunge.

Scheiß Krebs! Was machst du!? Warum hast du soviel Geschmack, dass du dir immer die Guten nimmst?!

<3Meiner war immer bei mir. Die ganze Zeit. Jede Minute. Unterstützte mich so gut es ging und fängt mich jetzt noch auf, wenn ich einen „Rückschlag“ erleide. Doch ich möchte nicht mehr leiden. Es hat doch keinen Sinn. Wie kann man sich bewusst sein, das Richtige gemacht zu haben und dass es keine andere Chance, außer ihn leiden zu lassen, gegeben hätte, und gleichzeitig so tief fallen und innerlich leiden? Wobei, ich leide nicht. Nicht wirklich zumindest. Ich bin eher von Leere befallen. Tiefer Leere. Mir wurde ein Stück meines Herzens amputiert und das ist nicht ersetzbar. Vielleicht heilt es ein wenig oder ich gewöhne mich daran, aber momentan ist es ein sehr leeres Gefühl.

Ich ertappe mich immer noch dabei, wenn ich nacHHause komme, dass ich im ersten Moment Richtung Büro laufe, um nur einen kleinen Blick auf den Stinker zu werfen und dann bremse ich erschrocken ab und mache ganz schnell etwas anderes, um mir selbst zu zeigen, dass ich das gar nicht vorhatte.

Wie schaffen das Andere? Abgesehn davon, dass man keinen Verlust mit einem Anderen vergleichen kann und dass es ja „ganz natürlich“ ist, dass ein Lebewesen auch im Alter mal stirbt oder schwer krank wird.

Ich habe einen kleinen Teil meines Sinns vom Leben verloren…

Doch ich wohne mit einem viel größeren und hoffentlich länger anhaltendem Sinn meines Lebens zusammen und ihm zuliebe muss ich langsam aber sicher wieder mein Leben in den Griff bekommen und nicht nur roboterartig bewältigen.

Ein größerer Verlust zeigt umso mehr, wie kostbar unsere Zeit doch ist und wenn ich diese Kostbarkeit, jemandem schenken und mit jemandem verbringen möchte, dann mit <3Meinem.

nibbler3

+++ Ruhe in Frieden, kleiner Stinker aka Teil meines Lebens +++

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